Systemisches Verstehen und Arbeiten mit Patchworkfamilien
Eine typische Familie ist (eine Kernfamilie oder aber auch eine Patchworkfamilie)?
Was sind Subsyteme?
In einer Patchworkfamilie können bis zu drei Kinder-Subsysteme leben: leibliche Kinder der Mutter als Stiefkinder des neuen Partners, leibliche Kinder des Vaters als Stiefkinder seiner neuen Partnerin, und gemeinsame Kinder dieser neuen Partnerschaft.
Darstellung einer Patchwork-Familie
- Liebespaar
- Paar mit eigenen Kindern
- Kinder aus früherer Beziehung + gemeinsame Kinder
- Eigene Kinder + Kinder aus früheren Beziehungen beider Partner
- Patchworkfamilie mit ehemaligen Partnern und gemeinsamen Kindern
- Komplettes Familiensystem
Größe einer Patchworkfamilie
Eine Patchworkfamilie ist immer größer als der Familienhaushalt! Die getrenntlebenden Elternteile gehören für die Kinder, und damit auch für das neue Paar immer mit dazu. Bis zu 12 Großeltern sind möglich. Gehen diese ihrerseits eine neue Verbindung ein, so haben die Patchwork Kinder je nach Konstellation 6 bis maximal 12 Großeltern.
Bedeutung für die Gesellschaft
Die Lebensform der Patchworkfamilie ist in vielen Varianten auf dem Vormarsch, in den USA stellt sie bereits die häufigste Familienform dar.
Ein sehr komplexes System
Ein komplexes Gebilde, für dessen Lebbarkeit und Gelingen es noch wenig Leitbilder und kaum passende Gesetzte gibt.
Vorurteile in der Gesellschaft
Die Patchworkfamilie wird noch stark mit Skepsis belegt und an den Kriterien der postmodernen Kleinfamilie gemessen.
Ideale Familie…
Sie wird gemessen an dem Ideal der romantischen Liebe und dem Anspruch dauerhafter Intimität im Paar und der selbstverständlichen Annahme, dass alle sich lieben und unter einem Dach zusammenleben müssen.
Ist die Familienform Vater–Mutter–Kind zwingend ausschlaggebend für die Zufriedenheit, der in ihren lebenden Menschen?
Können Kinder nur in einem gemeinsamen Haushalt gut gedeihen? Ist nicht die Qualität der Erwachsenenbeziehung viel entscheidender für das Wohlbefinden der Kinder? Sind Alleinerziehende Familien immer unvollständig?
Neue Wege gehen
Es ist eher die Frage, ob der fehlende Elternteil mental positiv einbezogen wird. Müssen sich alle Eltern lieben, um gut gemeinsam als Eltern zusammen zu wirken? Oder ist ein freundschaftlich – fairer Umgang nicht ebenso tauglich, um eine Familie zu führen?
Tradiertes Bild von Familie
Müssen Eltern zwingend mit ihren Kindern dauerhaft zusammenleben? Nicht alle Paare können das, und der dann aktiv gefundene Lösungsweg und seine verantwortliche Gestaltung entscheiden darüber, wie die Kinder gedeihen.
Keine Kernfamilien, aber was dann?
Patchworkfamilien sind keine gewachsenen Kernfamilien, sondern zusammengesetzte Systeme mit eigenen Strukturen, Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten und eigenen Konfliktthemen.
Gescheiterter Lebensentwurf
Die hohen Scheidungszahlen in unserer Zeit zeigen, wie viele Kernfamilien an dem hohen Liebesideal scheitern. Sinnvoll ist es, in neuen Zusammenhängen alternative Lösungswege zu beschreiten?
Neue Familiensysteme
Es ist ein Trend unserer Zeit von der Kernfamilie hin zu neuen Familienformen, die zwangsläufig zusammengesetzt sind. Wir können das bedauern und an herkömmlichen Kriterien gemessen, moralisch entwerten. Nur wird das den Strom der Zeit nicht aufhalten.
Was brauchen Patchworkfamilien?
Die neuen zusammengesetzten Lebensformen brauchen die „To-Do Liste“. Neue Landkarten, in die Erfahrungen, Erkenntnisse, Wissenswertes eingetragen werden. Das Leben in „lebbaren“ Formen zu gestalten, in Lebensformen, die es jedem einzelnen erlauben, emotional lebendig und authentisch zu bleiben.
Anforderungen an die getrenntlebenden Eltern
- Sich zu lieben und evtl. trotzdem nicht zusammenzuleben,
- sich nicht mehr zu lieben, und trotzdem gemeinsam Kinder im Guten großzuziehen,
- sich zu lieben, und trotzdem zurückzutreten und loszulassen, um anderen Bindungen Raum zu geben,
- sich nicht zu lieben und trotzdem in Gemeinschaft gut zusammen zu leben,
Störanfälligkeit
Im Inneren Gefüge bilden Patchworkfamilien tatsächlich ein komplexes und damit immer auch störanfälliges Gefüge.
Verbindung schaffen
Zwei verschiedene Familienkulturen kommen zusammen und wollen bzw. müssen sich verbinden.
Wie können wir zukünftig zusammenleben?
Alle Familienmitglieder sind ständig gefordert, sich um gegenseitiges Verständnis zu bemühen, Kompromisse auszuhandeln und Konflikte zu lösen.
Voraussetzungen:
Hohe Flexibilität, Toleranz, Nachsicht und Offenheit von allen Beteiligten.
Im Alltag ähnelt das mitunter einem Spagat, der sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen erfordert.
Die Therapie
In der systemischen Therapie mit Patchworkfamilien, wird die Komplexität des Beziehungsgefüges besonders betrachtet.
Die Beziehungsebenen klären
Hier lassen sich bis zu 8 Beziehungsebenen unterscheiden, die alle aufeinander einwirken und berücksichtigt werden müssen:
Beziehungsebenen
- Das neue Paar, die junge Liebe und zugleich zweite Ehe.
- Die Restfamilie, das Subsystem aus dem leiblichen Elternteil, das mit seinen Kindern weiter zusammenlebt.
- Die Beziehung neuer Partner/neue Partnerin und Stiefkindern.
- Die Beziehung der Kinder zum leiblichen, außerhalb lebenden Elternteils.
- Die Beziehung der Stief- und Halbgeschwister untereinander.
- Die Beziehung der Expartner zueinander.
- Vater – Mutter mit neuem gemeinsamem Kind/Kindern, das leibliche Dreieck innerhalb der Patchworkfamilie.
- Das zusammenlebende gesamte Patchwork System aus Mutter, neuem Partner, (oder umgekehrt) leiblichen Kindern, Stief- und/oder Halbgeschwistern.
Aufgabe der Patchwork- Eltern
Es lässt sich unschwer erkennen, dass sowohl die horizontale als auch die vertikale Ebene eine Menge Loyalitätsverflechtungen bereithält. Es ist die vorrangige Aufgabe der Patchwork- Eltern, diese Loyalitätsbindungen so zu berücksichtigen und zu gestalten, dass kein Familienmitglied an seinen erforderlichen Entwicklungsprozessen gehindert wird.
Die Entwicklung
Von allen Beteiligten erfordert das sehr viel Toleranz, Besonnenheit und Durchhaltevermögen, damit jeder seinen sicheren Platz in der neuen Familie finden, und sich ein stabiles WIR-Gefühl entwickeln kann.
Dauer der Therapie
Das ist ein Prozess, der erfahrungsgemäß viele Jahre andauert.
(Betroffene sollten das wissen!)
Ordnung schaffen
Die neue Ordnung mit Regeln und Vereinbarungen muss im Innern wie
im Außen immer wieder neu verhandelt werden, in den äußeren Alltagsstrukturen als Organisation und Planung mit allen Subsystemen:
Zuständigkeiten
Wer ist wann wo mit wem?
Im inneren affektiven Bindungsgefüge als Absprachen von Zuständigkeiten und Rollen, und als Austausch von Befindlichkeiten. Wer ist für wen wann bei was wie zuständig? Wer braucht was von wem?
Die Architekten
Das neue Paar hat die zentrale Rolle der Baumeister inne, die beständig das neue Familiengefüge integrieren und ausbalancieren müssen. Je bewusster und aktiver sie diese Rolle annehmen und ausfüllen, je besser gelingt ihr gemeinsames Vorhaben.
Angst und Schuldgefühle
Sind die beiden Partner dabei möglichst frei von Angst-, Schuld- und Mangelgefühlen, frei von Glaubenssätzen wie: „Es darf nicht wieder schief gehen, diesmal muss es klappen, jetzt werden wir eine richtige Familie, wir werden uns alle lieben!“
Mit Verlusten umgehen
Am Anfang war der Verlust!
Patchworkfamilien haben in ihrem Gepäck Erfahrungen von herbem Verlust, konflikthaften Zeiten, gravierenden Einschnitten in das vertraute Leben, zerbrochene Familienideale, tiefgreifende Veränderungen, evtl. auch Schuld- und Schamgefühle.
Umgang mit Verlusten
Entscheidend ist nun, wie konstruktiv konnten alle Beteiligten den Umgang mit diesen Verlusten verarbeiten? Gab es für anstehende Gefühlsprozesse genügend Raum, und durften/konnten sie gezeigt / durchlebt werden?
Wurde die Trennung betrauert?
Konnten inzwischen alle Beteiligten die Trennung in der Familie akzeptieren, sind die Erwachsenen wieder handlungsfähig, sind Begegnung und Absprachen unter den Expartnern wieder möglich?
Festes Gefüge schaffen
Kinder haben keinen Einfluss auf die veränderte Familienentwicklung. Sie brauchen vor allem Zeit und die Aufmerksamkeit der Erwachsenen, um sich auf die Lebensveränderungen einzustellen, damit sie ihr Vertrauen in die Erwachsenen nicht verlieren.
Erste Schritte in der (neuen) Familie
- Die Eltern müssen auf die Kinder eingehen Eigenen Wünsche zurückstellen.
- Eigene Konflikte auf der Erwachsenenebene nicht auf dem Rücken der Kinder austragen.
- Vermittlung von Stabilität und Sicherheit
Die Expartner
Der Ex-Partner gehört als zweites leibliches Elternteil weiterhin zu den Kindern dazu, egal wie erschüttert die Beziehung der „Ex-partner“ untereinander ist.
Kinder wollen Kontakt zu beiden Eltern
Kinder brauchen die Gewissheit, dass auch der Kontakt zum getrennten Elternteil von den Eltern gewollt ist und beidseitig gestaltet wird und werden darf. Genau darin liegt die Anerkennung der besonderen Struktur der Patchworkfamilie als zusammengesetzter Familienform.
Die erweiterte Patchworkfamilie
Jedes Mitglied der erweiterten Patchworkfamilie hat seinen Platz, seine Rolle, seine unverwechselbare Bedeutung.
Konflikte schaden nur…
Je konfliktreicher die Beziehung der Ex-Partner war/ist, und je unterschiedlicher die Familienstrukturen und -kulturen der jeweiligen Familien ist, die zusammenkommen wollen, desto mehr Zeit benötigt der Prozess des sich Kennenlernens und der gegenseitigen Annäherung.
- Die Beziehung zu den eigenen leiblichen Kindern hat eine längere
- Geschichte als das neue Paar. In der Aufstellungsarbeit sprechen wir
- von „den älteren Rechten“. Das ist ein weiteres Strukturmerkmal der Patchworkfamilie.
Opfer müssen gebracht werden!
Es verlangt von dem neuen Partner eine hohe Akzeptanz gegenüber der Familie seiner neuen Partnerin/ Partners, und die Fähigkeit, zurückzutreten, um dem leiblichen Subsystem des Partners/der Partnerin den Vortritt zu lassen.
Aus der Tatsache, dass die Eltern – Kind – Beziehung vor der neuen Paarbeziehung existierten, ergibt sich, dass in einem Konfliktfall der geliebte Partner evtl. der Loyalitätsbindung zum eigenen Kind den Vorrang einräumt.
Wie kommen Kinder mit der Situation zurecht?
Kinder bis etwa 3 Jahre vollziehen eine Trennung und einen Neuanfang ihrer Eltern dann relativ unproblematisch mit, wenn dieser ohne Dramatik verläuft, und wenn möglichst rasch für eine feste berechenbare Wohn- und Betreuungssituation von beiden Eltern gesorgt werden kann.
- Schuldkomplex – Kinder 3 – 12 Jahre
Am schwersten Scheinen es Trennungskinder (3 und 12) Jahren zu haben.
Reaktion => Schuldkomplex
Papa und Mama wieder vereinen
Das sollte der neue Partner unbedingt wissen, und es nicht persönlich nehmen, wenn er erst einmal mit Wut und Ablehnung bedacht wird.
- Kinder ab 6 Jahren
Kinder ab etwa 6 Jahren leiden meist besonders heftig unter der elterlichen Trennung. Sie sind zumeist heftigen Loyalitätskonflikten ausgesetzt, fühlen sich schuldig, einer Seite weh zu tun, wenn sie sich der anderen Seite zuwenden.
Der neue Partner übt sich im Abstand halten
Die Elternsollten sehr behutsam und verstehbar für das Kind agieren, der neue Partner eher noch Abstand halten, bis das Kind von sich aus Kontaktwünsche signalisiert.
- Jugendliche Kinder
Jugendliche Kinder trauern ebenfalls innerlich heftig, geben sich aber eher verschlossen und ziehen sich raus.
Warum geht Papa?
Ein 16 Jähriger sagte einmal in der Therapie: “Eigentlich war ich dran mit Gehen und nicht mein Vater!“
Verlustreaktion des Kindes
Die „neue Liebe“ des Elternteils, mit dem die Kinder zusammenleben, wird als ein weiterer Verlust vom Kind erlebt.
Der komplexe Prozess der Familienentwicklung
Die junge Liebe des neuen Paares ist eingebettet in einen sehr komplexen Familienentwicklungsprozess, der die Entwicklung der Partnerschaft erheblich beeinflusst.
Die Energiequelle
Diese Liebe der Partner ist aber auch die Hauptenergiequelle der Patchworkfamilie. Die Aufgabe besteht darin, das Familiengefüge dauerhaft zu integrieren, Hauptbestandteil ihrer Paarzeit!!!
Was kann der neue Partner tun?
Der neue Partner kann seiner Partnerin (und umgekehrt) seine ganze Empathie und Aufmerksamkeit schenken, ihr Zuspruch und Trost in schwierigen Situationen zukommen lassen, und ihr seine Außenansicht der Dinge zur Verfügung stellen.
Strukturierung der Beratung
- Kennen lernen (Kontaktphase)
- Hierarchie der Probleme festlegen
- Positives bewerten Auswahl der Methoden (Visualisierung…)
- Etappenziel definieren
- Reflexion, eigenständig durchführen.
Der Ansatz der Therapie
Der Prozess des Zusammenwachsens einer Patchworkfamilie sehen wir als langwierig an, der in Abschnitten verläuft und viele Jahre benötigt.
Arbeitsweise
In der systemischen Familientherapie mit Patchworkfamilien arbeiten wir vor allem pragmatisch und lösungsorientiert.
Einladung zu einer Sitzung
Mal lade ich nur das Paar ein oder die Geschwister oder Stiefgeschwister, mal das leibliche Subsystem oder auch einen einzelnen Erwachsenen und dann wieder die ganze Patchworkfamilie.
Arbeitsmaterialien
Genogramme, die zu Systembildern ausgemalt werden, Familienskulpturen, Metaphern, geleitete Dialoge, OH-Karten, 4 – Stuhlsystem, Sandkastenarbeit, Schreiben, Malen…
Systembrett nach Dr. Ludewig (B)
Oh-Karten „Tan do“ Beziehungskarten (B)
Struktur und Ordnung erstellen
Konkrete Zeitpläne und Organisationsvereinbarungen werden vorgenommen.
Etappenziel
Es gibt oft auch eine Vereinbarung, die die Familie bis zur nächsten Sitzung ausprobiert und dann gemeinsam in der Sitzung auswertet.
Unser Angebot
Wir können die Familien und Paare nur begleiten und sie ermutigen, ihre gelebten Erfahrungen gemeinsam auszuwerten. Neue Perspektiven zu entwickeln und verändernde Einsichten dazu zu gewinnen.